Bankenscore Blog

Interview mit Caton Hanson, einem der Gründer des amerikanischen Scoring Fintech NAV Technologies



Caton Hanson ist Mitgründer von Nav Technologies Inc., einem US Fintech Unternehmen, welches den Markt für Unternehmensbonität und Kreditvergabe für KMU revolutioniert hat. Mit mehr als 1 Millionen registrierter Geschäftskunden ist Nav die führende Plattform für KMU in den USA. Seit seiner Gründung hat Nav mehr als 100 Millionen US Dollar an Risikokapital von renommierten Investoren wie Goldman Sachs, Kleiner Perkins, Steven Cohens Point72 Ventures und der globalen Auskunftei Experian erhalten.

BankenScore: In Deutschland sind leider nicht alle mit dem amerikanischen Markt vertraut. Erzähl uns zunächst bitte ein wenig über NAV Technologies.

Caton Hanson: Gerne. NAV Technologies ist die erste auf KMU fokussierte Fintech Plattform in den USA, die ihren über 1 Mio Nutzern Zugriff auf die private wie auch geschäftliche Bonität gibt, und zwar von allen größeren Auskunfteien, Experian, TransUnion, Equifax und Dun & Bradstreet. Dabei ist NAV ein Online Marktplatz auf dem Unternehmer passende und sofort verfügbar Finanzierungsangebote angezeigt bekommen. Wir sind sozusagen der amerikanische Cousin von BankenScore. Allerdings ist NAV deutlich älter, da wir schon in 2012 mit ein paar wenigen Mitarbeitern begannen, mittlerweile sind es über 100. NAV ist stark finanziert mit bisher ca. 100 Mio USD an Risikokapital von Investoren wie Goldman Sachs, Kleiner Perkins, Stephen Cohens Point72 und auch der Auskunftei Experian.

BankenScore: Wie bist Du dann auf die Idee zu NAV gekommen?

Caton Hanson: Vor der Gründung von NAV Technologies hatte ich eine eigene Anwaltskanzlei, die spezialisiert war auf Verbraucherrechte und rechtliche Unterstützung von Selbstständigen. Dabei hatten wir viel Geschäft in der Zusammenarbeit mit Kreditvermittlern, die für ihre Klienten immer wieder Probleme mit der Bonität hatten, manchmal die private Bonität, manchmal die geschäftliche Bonität. Um ihre Bonität im Rahmen von Kreditanträgen voll zu verstehen, mussten Unternehmer – vor NAV – verschiedenste Bonitätsreports kaufen, häufig auf postalischem Weg.

Mein Freund und ebenso Mitgründer von NAV Technologies Levi King war dabei einer der Geschäftsführer bei einer Kreditvermittlung. Zusammen erkannten wir, dass es sich hier um größeres Problem für KMU handelte, welches man mit einer digitalen Plattform bedienen könnte. Wir kannten uns schon ewig und merkten auf einmal, dass unsere Erfahrungen und Interessen ideal waren, um solch eine Geschäftsidee wie NAV richtig aufzusetzen. Wir fingen also damit an, all diese verschiedenen Bonitätsreports online bereitzustellen.

Nach einiger Zeit merkten wir dann, dass der nächste Schritt für unsere Nutzer fast immer ein Kreditantrag war. Also erweiterten wir unsere Plattform um verschiedene Finanzierungsangebote, nicht nur Bankkredite, sondern auch neuere online Angebote von anderen Fintechs wie z.B. Cabbage, einem der größten US Lending Fintechs. Mein Verständnis ist, dass BankenScore praktisch direkt mit der Vermittlung passender Kredite angefangen hat?

BankenScore: Das ist korrekt, da wir das Potential für Abo-services für Bonitäten etwas geringen einschätzen. Aber erzähl uns weiter von Nav. Was waren Eure größten Herausforderungen?

Caton Hanson:  Wahrscheinlich hatten wir dieselben Probleme wie viele andere VC-finanzierte Fintechs: der konstante Druck, den Produkt-Markt-Fit weiter zu treffen, das Wachstum konstant zu halten, in Folgefinanzierungen weiter neue Investoren zu überzeugen und natürlich die Herausforderungen einer wachsenden Plattform. Manchmal haben wir aus unserer Sicht kleinere Pivots gemacht, welche dann in schwächerem Wachstum resultierten. Das waren natürlich große interne Diskussionen, die sich hieraus ergaben. Manchmal hatten wir auch das Problem, dass das Produkt nicht so einfach von Unternehmern verstanden wurde, wie wir erwartet hatten. Auch in den USA ist das Thema Bonität nicht für jeden Unternehmer sofort intuitiv verständlich.

BankenScore: Das ist ähnlich in Deutschland. Allerdings haben auch wir gelernt, dass es bei der Unternehmensbonität im nächsten Schritt fast immer um Finanzierungen geht. 

Wie erfolgreich ist NAV heute?

Caton Hanson: NAV ist sehr erfolgreich auf verschiedenen Ebenen. Unser Modell ist einzigartig und gibt kleineren Unternehmern eine sehr bequeme Möglichkeit ihre verschiedenen Bonität einzusehen und damit zu arbeiten. Wie bereits gesagt, ist gerade die schnelle Verfügbarkeit von Finanzierungen ein wesentliches Merkmal. Ein Kernfaktor dabei war, dass wir nicht nur die Unternehmensbonität bereitgestellt hatten, da diese bei kleineren Unternehmern eigentlich gar nicht so wichtig ist. Bei vielen Kleinunternehmern geht es bei Krediten um eine private Haftung, welche eben nur von Banken akzeptiert wird, wenn die eigene Bonität gut genug ist.

Die Zahlen sprechen natürlich für sich. Quantativ gesprochen hat NAV mittlerweile deutlich über eine 1 Millionen Nutzer, von denen wir  Zehntausenden geholfen haben mit ihrer Bonität eine passende Finanzierung zu finden. Die Nutzung der Reports haben natürlich noch viel mehr Nutzer in Anspruch genommen.

Wir hatten mit unserem Konzept schon früh Risikokapitalinvestoren überzeugen können und in verschiedenen Runden mittlerweile ca. 100 Mio USD an Geld einwerben können. Das war natürlich extrem hilfreich, da wir damit extrem schnell wachsen konnten und zudem auch viele technologische Themen frühzeitig bearbeiten konnten wie z.B. auch das Thema Open Banking und Kontoscoring. Unser Model ist für den Kunden zwar straight-forward, aber im Hintergrund ist es ein sehr komplexes Geschäftsmodell, bei dem man sehr unterschiedliche Themen vereinen muss: Scoring, Analytics, und AI, dann KMU Finanzierung, dann Open Banking und die ganze Regulatorik dahinter und natürlich auch die Basics der digitalen Kundenakquise.

BankenScore: Wie ist NAV mit der Coronakrise umgegangen?

Caton Hanson: Ich denke, dass in einer Wirtschaftskrise die Nachfrage nach Bonitäten steigt. Zum einen müssen Banken ihre Risikomodelle neu anpassen, und daher die Bonität ihres Portfolios prüfen. Zum anderen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich als Unternehmer Finanzierungsprobleme bekomme und daher einen Kredit benötigen. Das resultiert darin, dass ich meine eigene Bonität kennen und sichergehen sollte, dass keine falschen Daten über mich kursieren.

BankenScore: Wie schätzt Du die Auswirkungen der Coronakrise auf Fintech allgemein und auch die Kreditanbieter ein?

Caton Hanson: Ich denke die größten Auswirkungen sind relativ klar: es gibt ein verstärktes Risiko für KMU und es gibt einfach strengere Regeln bei der Kreditvergabe, man kann streng genommen von einem Austrocknen der Kreditmärkte sprechen, zumindest hier in den USA. Unternehmen, die in der Vergangenheit einfach einen Kredit bekommen konnten, können dies nicht mehr tun, selbst wenn sie ein niedriges Ausfallrisiko darstellen. Die neueren Fintech Kreditanbieter sind dabei am stärkten betroffen, weil auch in den USA zunächst einmal Regierungshilfen verteilt werden. Viele Fintech Kreditanbieter sind auch in ihren Konstrukten auf eine Partnerbank oder andere Drittmittel angewiesen, welche nun nicht mehr bereit sind Geld zu vergeben. 

Allerdings sehen wir auch den positiven Aspekt, dass es einen deutlichen Ruck zu Online Angeboten gibt. Somit könnten die Fintechs, die ein wenig mehr Polster haben, nach der Krise auf mehr Traffic und somit Geschäft hoffen.

BankenScore: Wie denkst Du wird sich die Zukunft des Creditscoring entwickeln?

Caton Hanson: Das ist natürlich eine spannende Frage. In Amerika wurden die Standards lange getrieben von den größeren Auskunfteien und auch staatlichen Finanzanbietern wie z.B. dem Immobilienkreditanbieter Fannie Mae. Der größte Standard war dabei der sog. FICO Score. 

Mit dem derzeitigen technologischen Wandel und neuen Möglichkeiten Risiko zu berechnen und Verluste zu quantifizieren, kann man davon ausgehen, dass Creditscoring sich verändern muss. Der Widerstand kommt hier natürlich von den etablierten Playern und ihrer Fähigkeit neue Modelle auch für sich selbst einzusetzen. Trotz dieser Widerstände auch der versuchten Einflußnahme über Lobbyismus gegenüber der Regierung wird der Markt sich ändern müssen. Man denke hier insbesondere an die immer einfacher verfügbaren Finanzdaten, z.b. Kontodaten, welche mit Open Banking Technologien mittlerweile relativ einfach zu bewerten sind. Es gibt schon einige Banken, welche mit nur einer Kontoauswertung Kredite vergeben. 

Ich denke, dass ein Großteil der Veränderungen von Konsumtenverhalten getrieben sein wird. Wer heute merkt, dass er z.B. mit der Bereitstellung seiner Kontodaten Geld sparen kann, wird morgen kein Problem damit haben, seine Daten immer wieder anlassbezogen bereitzustellen. Dieses Verhalten wird dann auch im B2B Bereich Einlass finden. Und dies wiederum wird die bisherigen Scoringmethoden verändern.